12. Juli 2021

Die Vorbereitung auf den Corona-Herbst mit Hochdruck anschieben – eine vierte Welle verhindern

Autor*innen-Papier

Katrin Göring-Eckardt, MdB

Kordula Schulz-Asche, MdB

Janosch Dahmen, MdB

 

 

Alle genießen den Sommer und die Freiheiten, die mit den niedrigen Inzidenzen und einer steigenden Impfquote eingehgehen. Dass wir aktuell so gut dastehen, haben wir den Impfstoffen sowie dem Verzicht und verantwortlichen Handeln vieler Menschen, besonders der Familien zu verdanken. Das darf nicht leichtfertig verspielt werden.

Aus Fehlern lernen

Kluges Pandemiemanagement behauptet nicht, keine Fehler zu machen, sondern lernt aus ihnen. Schon einmal sind wir sorglos durch den Somme gegangen und haben den Herbst nicht vorbereitet. Mit der Delta-Variante ist eine hochansteckende Mutation auf dem Vormarsch, bei der das Risiko, ins Krankenhaus eingeliefert zu werden und auch die Rate der schweren Verläufe leicht erhöht sind. Weitere Virusvarianten sind in den nächsten Monaten wahrscheinlich. Das Planungsversagen darf sich nicht erneut wiederholen. Die Bundesregierung muss diesmal endlich vorausschauende Politik machen.

Möglichst viele Menschen möglichst rasch impfen

Angesichts der Delta-Variante ist es entscheidend, möglichst viele Menschen möglichst rasch zu impfen. Auf einer Impfquote von 40 Prozent kann man sich nicht ausruhen. Sie ist noch deutlich zu niedrig. Sie wird nicht ausreichen, um einen Herbst mit allen Freiheiten zu bekommen. Deshalb muss noch sehr viel mehr getan werden, um über die bislang erreichten Menschen hinaus Impfwillige aber auch Zögernde zu erreichen. Statt Druck und Sanktionen sind Einfallsreichtum und Aktivität gefragt. Die Bereitschaft für Impfungen ist nach wie vor hoch in der Bevölkerung.

Kinder in den Mittelpunkt der Corona-Strategie

Bei aller Freude über unbeschränktes Einkaufen und Ausgehen: Es darf jetzt nicht ausschließlich darum gehen, dass das wieder geöffnet wird, was für Erwachsene wichtig ist. Kinder und Jugendliche haben besonders gelitten in den vergangenen Monaten. Sie gehören in den Mittelpunkt der Corona-Strategie für den Herbst. Hochriskant ist, Kinder sich ungeschützt mit einem noch wenig bekannten Virus infizieren zulassen. Es müssen alle wirksamen Vorkehrungen getroffen werden, damit Kinder und Jugendliche im nächsten Herbst regulär und Corona-sicher lernen können. Damit darf nicht länger gewartet werden, sonst heißt das für den Herbst erneut eine Bildungs- und Betreuungskrise mit Ansage.

Was nun getan werden muss:

  • Aufsuchende Impfmaßnahmen, statt ausschließlich auf Angebote zu setzen

Die Impfbereitschaft ist nach wie vor hoch, die Gründe, warum es doch nicht zur Impfung kommt, sind vielfältig. Mit Impfangeboten allein ist es nicht mehr getan. Die tägliche Impfquote muss wieder steigen. In dieser Phase muss die Impfung zum Menschen kommen und nicht mehr umgekehrt. Möglichst viel geimpfte Menschen sind aktiver Schutz der Bevölkerung. Impfen muss einfach sein, der Zugang zur Impfung so niedrigschwellig wie möglich. Dafür können auch unkonventionelle Wege gegangen werden. Mobile Impfteams können vor Ort, in Stadtteilzentren, vor Schulen und in Universitäten, in Einkaufszentren oder Kultur- und Jugendeinrichtungen jene Menschen erreichen, die bisher zurückhaltend waren.

Religiöse Gemeinden, Gesundheitsämter, Amtsärzte, soziale Treffs (z.B. für Frauen und Mütter) sollten als Informationsorte und auch für die Bereitstellung von temporären Impf-Räumen einbezogen werden, die Impfbusse für ländliche Regionen weiterhin unterwegs sein.

Für diese Vorschläge muss der Bund die Impfverordnung erweitern, damit auch der Öffentliche Gesundheitsdienst und Apotheken und ggf. weitere Berufsgruppen in die Impfkampagne einbezogen werden können. Gerade mit Hilfe des ÖGD können auch Menschen erreicht werden, die schwer durch Gesundheitsangebote erreicht werden, z.B. Menschen ohne Obdach oder ohne Versicherung. Für diese ist es auch wichtig zu betonen, dass die Impfungen kostenlos sind. Für diese Angebote muss der Bund den ÖGD finanziell unterstützen.

Wenn die tägliche Impfquote weiter rückläufig bleibt, muss über weitere Anreize, wie sie in anderen Ländern zu Anwendung kommen, diskutiert werden. Einfach abwarten ist keine Lösung.

Gleichzeitig muss die Booster-Impfung zuvorderst für die Menschen, bei denen die Wirkung der Impfstoffe aufgrund ihres geschwächten Immunsystems geringer ist, vorbereitet werden. Dabei braucht es  klare Informationen, für welche Gruppen eine Booster-Impfung ab wann sinnvoll ist, damit kein Impfchaos im Herbst entsteht.

  •  Neustart und Verjüngung der Informations- und Aufklärungskampagne

Angesichts sinkender täglicher Impfquote müsste man eigentlich auf Schritt und Tritt auf Informationen zum Corona-Virus und der Impfung treffen. Die Zurückhaltung des Gesundheitsministers ist riskant. Es braucht eine breit angelegte Informationskampagne, um die Menschen zu adressieren, die bisher beim Impfen noch unschlüssig waren oder ihre Termine für die Zweitimpfung haben verstreichen haben lassen. „Ärmel hoch“ reicht nicht mehr aus. Wir brauchen eine Impfkampagne, die gezielt auch jüngere Menschen und andere Zielgruppen erreicht. Die Infektionsraten der Unter-30-Jährigen sind gerade in den Ländern, in denen die Delta-Variante bereits Fuß gefasst hat, rasant gestiegen.

Vor allem aber müssen wir stärker auf Aufklärung in verschiedenen Sprachen setzen. Über die Impfstoffe, ihre Wirkungen und Nebenwirkungen herrscht weiterhin große Verunsicherung. Auch hier muss zielgruppenspezifisch aufgeklärt werden: Menschen, die bei Impfungen für sich oder ihre Kinder zögerlich sind, brauchen eine andere Aufklärung als Menschen mit eingeschränkten Deutschkenntnissen.

  • Flächendeckendes Testen beibehalten

Flächendeckendes Testen ist ein wichtiges Instrument, um nachzuverfolgen, wo sich das Virus ausbreitet und ob es Infektionen auch bei geimpften Menschen gibt. Deswegen braucht es jetzt sofort Teststationen an den Grenzen und verpflichtende Tests für alle Urlaubsrückkehrer, inklusive Geimpfte, Genesene, denn auch diese können das Virus weitertragen. Entsprechende Vorkehrungen sind in der Einreiseverordnung zu verankern.

Ebenso sollten die regelmäßigen Tests in Schulen, Kitas und an der Arbeitsstelle für alle beibehalten und finanziert werden. In Kitas und Schulen sollten vermehrt Lolli-Tests als Pool-Tests eingesetzt werden, deren Treffsicherheit höher ist.

Es ist ein großes Versäumnis der Bundesregierung, dass sie keine systematische Datenerfassung und keine breite Begleitforschung in Gang gesetzt hat. Nötig sind eine verpflichtende Meldung und systematische Datenerfassung zu PIMS und Long Covid bei Kindern und Jugendlichen, damit auf Basis von Fakten auch aus Deutschland abgewogen werden kann, welchem Risiko sie ausgesetzt sind. Ebenso dringend muss das Gesundheitsministerium klar regeln, dass bei jedem PCR-Test erfasst wird, ob und wie oft die Patient:innen bereits geimpft sind und mit welchem Impfstoff, oder ob sie genesen sind. Nur so lässt sich feststellen, wie zuverlässig die Impfstoffe schützen und ob ihre Wirksamkeit nach einer Weile abnimmt. Denn für schnelle und effektive Booster-Impfungen müssen wir dringend wissen, wer diese im Herbst als Erstes brauchen wird.

  • Weiterhin Masken in geschlossenen Räumen

Eine vollständige Immunisierung bietet zwar einen zuverlässigen Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf und einer Hospitalisierung, Geimpfte können aber weiterhin das Corona Virus übertragen. Daher ist hier weiterhin Solidarität mit allen Menschen, die sich nicht impfen lassen können, wie Kinder, Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen oder Frauen zu Beginn ihrer Schwangerschaft gefragt.

Die Aufrechterhaltung von Einschränkungen muss sich an der aktuellen Corona-Situation orientieren. Sollte es keinen Anlass mehr geben, Grundrechte einzuschränken, müssen Einschränkungen fallen. Maßnahmen, die aber wenig in unser Leben eingreifen, andere hingegen schützen, sollten wir schon aus Solidarität weiterführen. Deswegen ist es falsch, die Maskenpflicht im ÖPNV oder in geschlossenen Räumen, in denen kein Abstand gehalten und nicht ausreichend gelüftet werden kann, aufzuheben. Angesichts der hochansteckenden Delta-Variante muss trotz niedriger Inzidenz Vorsicht walten und die Verbreitung verlangsamt werden.

  • Einheitliche Verantwortung und Delta-Strategie für Schulen und Kitas

Erneut wiederholt sich, was wir schon aus dem letzten Jahr kennen, dass hektisch im Sommer darüber geredet wird, wie man die Schulen auf einen Herbst mit Corona vorbereitet. Es ist unverantwortlich, dass die Bundesregierung so wenig vorausschauend für die Belange von Kindern und Jugendlichen unternommen hat. Kinder unter zwölf Jahren können nicht geimpft werden und auch viele Jugendliche werden ohne Impfschutz zurück in die Schulen kommen. Die Beispiele Großbritannien oder Israel zeigen, dass es gerade dann auch zu Ausbrüchen in Schulen kommt. Wir müssen verhindern, dass Leidtragende der Pandemie erneut die Kinder und Jugendlichen und ihre Familien sind.

Schulen und Kitas müssen jetzt so sicher wie möglich gemacht werden. Lüftungskonzepte, Luftfilter, Teststrategie, Masken und die Vermeidung großer Ansammlungen in geschlossenen Räumen (Bus, Mensa, etc.) können zusammen Schutz erzeugen.

Wir brauchen eine klare Verantwortlichkeit in der Bundesregierung für die Belange von Kindern und Jugendlichen, damit sie diese nicht fortlaufend im Zuständigkeitschaos der verschiedenen Ministerien verlorengehen.

Wir fordern von der Bundesregierung, jetzt einen Kita und Schul-Gipfel einzuberufen und mit Fachleuten aus Medizin, Pädagogik, Sozialpädagogik, Vertreter:innen von Ländern und Kommunen einheitliche Empfehlungen zu erarbeiten, um Kitakinder und Schüler*innen auch nach den Ferien vor Corona zu schützen. Mit dem RKI muss ein Delta-Leitfaden für die Schulen und Kitas entwickelt werden. Dieser soll den Verantwortlichen Empfehlungen an die Hand geben, wie Schulen und Kitas mit Blick auf die Delta-Variante möglichst sicher gehalten werden können. Dazu gehören auch mindestens die Beibehaltung, besser noch der Ausbau von regelmäßigen Test in Schulen und Kitas, einheitliche Maskenregeln  sowie die gezielte Erfassung der altersspezifischen Inzidenz in den Landkreisen und kreisfreien Städten.

Auch wenn nun erst einmal warme Sommermonate vor uns liegen: Im Herbst und Winter wird das Lüften in Kitas und Schulen erneut ein Problem, deswegen muss der Einbau von Filteranlagen schneller vorankommen. Nachdem die Bundesregierung den Einbau solcher Anlagen in Schulen und Kitas über Monate verschlafen hat, muss jetzt das  viel zu spät auf den Weg gebrachte Luftfilter-Förderprogramm überarbeitet und den Kommunen mehr Flexibilität eingeräumt werden, indem übergangsweise auch mobile Filteranlagen gefördert werden, sowie Genehmigungsprozesse einfacher werden, damit in einem ersten Schritt in möglichst vielen Räumen solche Anlagen eingebaut werden können.

Sowohl Wirtschafts- als auch Gesundheitsminister und auch die Bundesbildungsministerin haben ihre Verantwortung für die außergewöhnliche nationale Notlage, die Corona darstellt, viel zu spät, halbherzig und zögerlich wahrgenommen. Das ist eine Belastung für die Schul- und Kitaträger, auf denen nun die Erwartung der Umsetzung liegt. Lüftungsanlagen sollten zur Infektionsprävention und für ein besseres Raumklima auch für die Nach-Corona-Zeit zum Schulbau-Standard werden und bauliche Maßnahmen durch den Bund mit gefördert werden.

  • Impfungen international ankurbeln

Solange das Corona-Virus in vielen Teilen der Welt massenweise Menschen infizieren kann, wird es weiterhin Mutationen geben, die weltweit die Wirkung der Impfungen gefährden. Deshalb ist es vordringlich, die Impfungen international zügig anzukurbeln und Impfstoffe überall   verfügbar zu machen. Überschüssige Impfstoffdosen müssen schnellstmöglich an die COVAX-Initiative gegeben werden, die dann die Verteilung übernimmt. Nur mit globaler Solidarität kann die Pandemie effektiv bekämpft werden.