Die Zukunft Europas entscheidet sich auch im Kaukasus
Vor kurzem habe ich Baku, Eriwan und Tiflis besucht. Die Eindrücke meiner Reise in den Südkaukasus findet ihr hier:
Verändert der russische Krieg gegen die Ukraine die geostrategischen Bindungen zu den Ländern der östlichen Partnerschaft, allen voran dem Südkaukasus: weg von Russland, hin zu Europa? Der Krieg beschäftigt auch den Südkaukasus, aber die Region bleibt zerrissen. Armenien kann sich aufgrund diverser Abhängigkeiten nicht von Russland lösen, Aserbaidschan profitiert von seiner Energieunabhängigkeit und bietet sich Europa als Wirtschaftspartner an und in Georgien macht die pro-europäische Bevölkerung der eigenen Regierung Druck, endlich einen Beitritt zur Europäischen Union zu ermöglichen. Alles also wie gehabt? Es wäre eine vertane Chance, wenn Europa nur zuschaut. Bislang war Russland sicherheitspolitisch der entscheidende Machtfaktor in der Region. Das muss nicht so bleiben.
Es kommt für Europa jetzt auf die richtige Balance und zugleich Klarheit an: Unsere Kooperationsangebote müssen wertebasiert sein und sollten einhergehen mit Entwicklungen hin zu mehr Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Freiheit in den drei Ländern. Es braucht in allen dieser Länder unser ehrliches Interesse und Unterstützung derjenigen, die demokratische Prozesse voran bringen wollen, sei es in den Administrationen, in Nichtregierungsorganisationen oder Engagierte einzelner Bewegungen. Auch deshalb war ich vor kurzem in Baku, Eriwan und Tiflis.
Die Normalisierungsbestrebungen der lange Zeit verfeindeten Staaten Armenien und Aserbaidschan sind ermutigend. Frieden und Stabilität in Bergkarabach bleiben zentral für Europa. Die armenische Abhängigkeit von Russland, die für Armenien gefährlich werden kann, kann nur ein dauerhafter Frieden in der Region lösen. Es ist gut, dass die Europäische Union die Gespräche zwischen Armenien und Aserbaidschan eng begleitet. Wir sollten die Bemühungen stärken und auch ganz praktische Hilfe leisten, etwa bei der Entminung der stark verminten Region.
Die Fortschritte, die Armenien unter widrigen Bedingungen seit der Samtenen Revolution 2018 unternommen hat, sind bemerkenswert. Es hat für einen Demokratisierungsschub in dem Land gesorgt, ein arbeitsfähiges Parlament und eine lebendige Zivilgesellschaft. Diese Fortschrittsbemühungen sollten Deutschland und die EU kraftvoll unterstützen. Daher begrüße ich es sehr, dass die Entwicklungszusammenarbeit zwischen Armenien und Deutschland nun verstärkt werden soll.
In Aserbaidschan gibt es große Defizite bei der Einhaltung der Menschenrechte. In Baku habe ich meine Gespräche bewusst mit Vertretern der Zivilgesellschaft gestartet. Ich bin in der DDR aufgewachsen: Ich weiß, was Einschüchterung und Unterdrückung bedeutet. Ich weiß aber auch: ein Staat kann noch so mächtig sein, das Innerste kann er nicht verändern. Das war bei uns in der DDR der Wunsch nach Frieden und Freiheit. Diesen Drang nach Freiheit und Selbstbestimmung habe ich auch beim Treffen mit Menschenrechtsanwälten, Feministinnen und LGBTIQ-Aktivisten gespürt. Sie exponieren sich und nehmen Repressalien in Kauf. Unser Hinschauen ist ihr Schutz. Auch deshalb bleibt die Partnerschaft mit Aserbaidschan für Europa ein Balanceakt. Es ist richtig, dass die EU die Unabhängigkeit von russischer Energie stärkt, genauso wichtig bleibt es auf die Einhaltung von Menschenrechten zu bestehen. Geht das, wurde ich auf meiner Reise gefragt? Die Antwort kann nur sein: Selbstverständlich, es muss.
Eines muss klar sein: Die alte Idee von Wandel durch Handel funktioniert nicht mehr. Vielleicht hat sie es auch nie wirklich oder jedenfalls nicht nachhaltig getan. Das sehen wir aktuell beispielsweise an Russland und an China. Demokratie und Freiheit stellen sich eben nicht automatisch ein, nur, weil man die wirtschaftlichen Beziehungen vertieft. Das Dringen auf die Einhaltung der Menschenrechte und das Erringen von Rechtsstaatlichkeit benötigen einen eigenen Raum und eigenes Engagement. Sie sind kein Add-On, nach dem Motto: Das sprechen wir auch mal an.
Zusammenarbeit gerade in dieser Zeit muss sich an Regeln orientieren, die verlässlich sind. Grundsätzlich sollte für die europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit gelten: Je mehr Werte Länder teilen, desto intensiver kann eine Partnerschaft werden. Dafür ist auch die Zusammenarbeit mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren vor Ort so entscheidend.
Ich bin beeindruckt von dem Mut und der Klarheit all jener, die für Freiheit und Fortschritt in Baku, Eriwan und Tiflis eintreten. Sie sind die Hoffnung. Sie sind die Zukunft.
Sie brauchen unsere Aufmerksamkeit und Unterstützung. Denn Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte können Staaten und Gesellschaften nicht einfach übergestülpt werden. Wir können sie aber überzeugen: mit Erfolgsbeispielen andernorts. Gesellschaften brauchen Vorbilder. Wir können ihnen zeigen: Wo Menschenrechte sind, ist Freiheit; wo Freiheit ist, ist Kreativität und Entwicklungsgeist. Aufgeklärte Gesellschaften zahlen sich auch wirtschaftlich aus.
Dabei dürfen wir nicht vergessen: Die ehemaligen Sowjetrepubliken mussten in den vergangenen 30 Jahren alle ihren je eigenen Weg suchen. Er verlief ganz anders als für uns Ostdeutsche. Nach dem Zusammenbruch der DDR galten in Deutschland quasi über Nacht in Ost und West dieselben Gesetze, es galt das Grundgesetz. Es wurde nicht gemeinsam geschaffen, es wurde übernommen. Das hatte Nachteile: Ostdeutsche fühlten sich überrannt, bevormundet, nicht gesehen. Selbst Nachbarschaftsstreitigkeiten, die vor Gericht kamen, wurden von westdeutschen Richtern entschieden, die im Osten oft schneller Karriere machten. Demokratische Strukturen waren zwar da, wurden aber nicht selbst erarbeitet und somit eben nicht immer mit aller Leidenschaft ausgefüllt. Die Zustimmung zur Demokratie als Staatsform war immer geringer als im Westen des Landes. Demokratie will auch gelernt sein. Der Vorteil: Korruption im Aufbau demokratischer Strukturen hatte nur eine geringe Chance.
Der Transformationsprozess ist im Kaukasus anders verlaufen. Netzwerke, die sich Unsicherheit zu Nutze machen, Einflussnahme auf politische Akteure, Korruption hatten zum Teil Vorläufer im Beziehungsgeflecht sozialistischer Strukturen. Je länger eine Transformation dauert, umso zäher geht sie offensichtlich vonstatten. Die Länder des Südkaukasus sind mit ihrer Transformation noch lange nicht am Ziel. Ihr Weg ist ein anderer als der, den wir mit dem Ende der DDR und der Wiedervereinigung gehen konnten.
Bei unserer Unterstützung im Südkaukasus geht es deshalb nicht nur um finanzielle Förderung, es geht auch um Zuhören, um Verstehen, um Aufbauhilfe mit verlässlicheren, wo möglich demokratischeren Strukturen.
Am weitesten fortgeschritten ist Georgien. Seit vielen Jahren erklärt das Land, künftig EU-Mitglied werden zu wollen, die euro-atlantische Integration ist in der georgischen Verfassung festgeschrieben. In der Bevölkerung gibt es eine klar pro-europäische Bewegung. Doch die Menschen im Land sind entschiedener als die aktuellen Regierungsverantwortlichen. Ich verstehe die Enttäuschung, dass Georgien im Gegensatz zur Ukraine und der Republik Moldau noch keinen Kandidatenstatus für einen EU-Beitritt erhalten hatte. Die Auflagen der EU sind als Weckruf zu verstehen: jetzt nicht nachzulassen, sondern erst recht den Weg zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratisierung weiter zu gehen. Bei der Umsetzung der Auflagen hat die georgische Regierung unsere Unterstützung. Georgien gehört zur europäischen Familie.
Der furchtbare russische Angriffskrieg gegen die Ukraine mahnt: Wir müssen demokratische und pro-europäische Kräfte in unserer Nachbarschaft stärken. Demokratische Bewegungen zu stützen, ist ein Teil unserer Verantwortung.
Bisher haben wir in Deutschland mit Blick auf den Südkaukasus von „Russland und den Ländern der östlichen Partnerschaft“ gesprochen. Damit war klar, wer Bezugspunkt war. Es ist Zeit, das zu ändern. Nicht mehr Russland bestimmt unseren Blick und die Beziehungen auf den Kaukasus. Europäisch und geopolitisch geht es jetzt um die Ukraine und die Länder der östlichen Partnerschaft. Die Ukraine als Land der Freiheit, das Orientierung gibt. Nicht Putins Russland.