„Einen Klimakanzler kann ich schwer erkennen“
Interview geführt für die Funke Mediengruppe. Erstveröffentlichung am 22.05.2023.
Die Grünen sind in der Wählergunst abgestürzt. Woran liegt’s?
Katrin Göring-Eckardt: In der Gesellschaft gibt es sehr große Zustimmung zum Klimaschutz. Jetzt wird es konkret, und man spürt, dass sich was ändert, auch im persönlichen Leben, und dass es auch was kostet. Veränderungen empfinden viele als bedrohlich. Das verstehe ich. Dazu kommt, dass wir Grünen die Klimaschutzfrage und die soziale Frage zu oft nacheinander angehen: erst den existenziellen Klimaschutz, dann die soziale Abfederung. Diese Reihenfolge funktioniert nicht. Wir müssen beides zusammen denken und gleichzeitig machen.
Was bedeutet das für das Heizungsgesetz?
Ich möchte an den Ursprungsentwurf des Gesetzes von Klara Geywitz und Robert Habeck erinnern, der eine nach Einkommen gestaffelte Förderung für den Einbau einer klimafreundlichen Heizung vorsieht. Dahin müssen wir unbedingt zurück. Auf die Leute kommt eine Veränderung zu, mit der sie nicht gerechnet haben. Wir hätten von Anfang an deutlicher machen müssen: Die Umstellung auf Erneuerbare Energien beim Heizen ist auch ein Schutz vor den hohen Kosten, die mit Ölund Gasheizungen auf die Menschen zukommen würden. Man muss kein Prophet sein um zu sagen, dass die Gas- und Ölpreise in den nächsten Jahren durch die Decke gehen werden. Zugleich werden die Erneuerbaren Energien immer günstiger.
Die Anschaffung einer Wärmepumpe schlägt ganz anders zu Buche als die steigenden Preise für fossile Energien.
Deswegen wollen wir die neue Heizung bis zu 80 Prozent fördern – und nicht wie im aktuellen Entwurf vorgesehen nur zu maximal 50 Prozent. Niemand darf gezwungen werden, sein Haus zu verkaufen. Und auch für Mieter darf es keine großen Belastungen geben.
Fordern Sie weitere Ausnahmen von der Austauschpflicht?
Die Frage, wie alt man für eine Ausnahme sein muss, steht ja auch zur Diskussion. Ich finde es besser, mit einer höheren Förderung für diejenigen zu arbeiten, die es brauchen, als mit weiteren Ausnahmen. Das Beste ist, wenn beim Heizungstausch alle mitmachen können.
Halten Sie daran fest, dass neue Öl- und Gasheizungen schon zum 1. Januar verboten werden?
Ich halte es für sehr sinnvoll, beim 1. Januar zu bleiben. Wir müssen Planungssicherheit schaffen. Jede Verzögerung sendet das falsche Signal, dass es noch ein bisschen so weitergehen könne wie bisher. Ich möchte nicht, dass Menschen aus Verunsicherung durch irgendwelche Kampagnen sich jetzt noch für Öl- und Gasheizungen entscheiden – und am Ende in einer fossilen Sackgasse stecken und draufzahlen.
Als Architekt der Wärmewende gilt der Habeck-Vertraute Patrick Graichen, der die Trauzeugen-Affäre ausgelöst hat. Was ändert sich nach der Entlassung des Staatssekretärs?
Das Gebäudeenergiegesetz ist vom Koalitionsausschuss vereinbart worden, dann ist es durch das Kabinett gegangen – unabhängig von einzelnen Personen.
Die Grünen sind eine Partei mit besonderen moralischen Ansprüchen. Welchen Schaden richtet Vetternwirtschaft in Habecks Umfeld an?
Bei der Besetzung der Deutschen Energie-Agentur ist ein Fehler unterlaufen, der als solcher klar benannt wurde. Es ist richtig, dass Robert Habeck jetzt Konsequenzen gezogen hat. Patrick Graichen hat einen entscheidenden Beitrag geleistet, dass wir gut durch den letzten Winter gekommen sind. Er ist ein langjähriger und sehr anerkannter Fachmann, und seine Expertise wird auch fehlen. Die Trennung ist menschlich hart. Aber sie ist notwendig.
Das Heizungsgesetz hat dazu geführt, dass die Grünen wieder als Verbotspartei wahrgenommen werden. Finden Sie das ungerecht?
Die Debatte ist müßig. Wir müssen mit Anreizen und Förderungen arbeiten, das wird auch immer wieder getan. Aber es reicht nicht immer aus. Wir haben sehr wenig Zeit, weil unsere Vorgänger in Sachen Klimaschutz auf der Bremse standen. Klimaschutz kann deswegen nicht auf das Ordnungsrecht verzichten – genauso wenig wie der Straßenverkehr. Weiter fossil zu heizen ist wie im Auto zu sitzen ohne Gurt und bei einem Unfall dann durch die Scheibe zu fliegen. Es ist immer schön, wenn die Leute sich aussuchen können, was sie machen. Aber am Ende muss Klimaschutz auch funktionieren. Man kann noch lange über Wasserstoff, E-Fuels oder weiß der Geier was reden. Aber es ist sehr unrealistisch, dass das verfügbare und bezahlbare Alternativen sind. Hier dürfen die Leute nicht absichtlich in die falsche Richtung geschickt werden.
Vor zehn Jahren brach die Debatte um den Veggie Day los, den vegetarischen Tag in Kantinen. Sie waren damals Spitzenkandidatin der Grünen, und bei der Bundestagswahl kamen Sie gerade auf 8,4 Prozent. Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?
Wir wollten damals die Möglichkeit schaffen, dass Kantinen einmal in der Woche vegetarisches Essen anbieten. Heute lachen wir darüber. Es gibt keine Kantine mehr, die das nicht tut. Die Lehre aus der Veggie-Day-Debatte lautet: Man überlege sich bei Forderungen immer auch, was die politischen Gegner daraus machen könnten.
War Habeck beim Heizungsgesetz zu naiv?
Nein. Robert Habeck hat ja von Anfang an gesagt, dass wir die Förderung beim Heizungstausch nach Einkommen staffeln müssen. Was alle zu verantworten haben: Wir haben im Wahlkampf nicht genug über Heizen gesprochen. Das war ein Fehler. Und der andere: Wenn man als Regierung so ein Großprojekt anstößt, muss man es auch gemeinsam tragen. Davon sind wir in der Ampel leider weit entfernt.
Olaf Scholz hat sich im Wahlkampf als Klimakanzler verkauft. Fühlen Sie sich von Scholz im Stich gelassen?
Einen Klimakanzler kann ich schwer erkennen. Klimaschutz ist halt kein Thema unter vielen. Politik muss vorausschauend handeln, auch wenn es dafür aktuell mal keine Umfragemehrheit gibt. Wir machen diese gigantischen Veränderungen, weil sie notwendig sind. Daher müssten alle in der Koalition ein Interesse daran haben, diesen Weg gemeinsam zu gehen. Der Kanzler darf es sich nicht leicht machen. Das ist kein Spezialthema von Robert Habeck oder den Bündnisgrünen. Das mag uns als Partei oder dem Vizekanzler aktuell schaden, aber es geht ansonsten zulasten aller, auch schon in naher Zukunft.
Noch weniger Unterstützung bekommen Sie von jungen Klimaaktivisten. Enttäuscht Sie das?
Nein. Dass junge Menschen noch viel mehr wollen und sich wundern, dass die Ampel beispielsweise kein Tempolimit macht, obwohl das eine einfache und günstige Maßnahme ist, kann ich gut verstehen. Ich weiß, dass sich die Bewegung Fridays for Future sehr intensiv mit den grundlegenden Fragen wie Ressourcenverbrauch beschäftigt. Ich verstehe auch, dass es in den Bewegungen Frustration gibt, dass es ihnen nicht schnell genug vorangeht, und das teile ich. Die Aktionsformen der Gruppierung Letzte Generation – Ankleben auf der Straße, Beschütten von Kunstwerken – finde ich allerdings nicht sehr sinnvoll.
Luisa Neubauer von Fridays for Future ist Mitglied der Grünen. Welche Perspektiven hat die 27-jährige in Ihrer Partei? Könnte Neubauer eines Tages grüne Spitzenkandidatin bei der Bundestagswahl werden?
Luisa Neubauer ist eine der Klügsten, die wir bei den Grünen haben. Und sie ist eine der herausragenden Persönlichkeiten in unserer Gesellschaft. Sie hat eine große Ausstrahlung und ist besonders überzeugend. Ich kann mir bei ihr alles vorstellen – perspektivisch auch mal eine Spitzenkandidatur. Die Entscheidung, ob sie in die aktive parlamentarische Politik geht, liegt natürlich bei ihr selbst.