Biblischer Dialog zur Friedensvision für alle Völker (Micha 4,1-5)
1 Am Ende der Tage wird es geschehen: / Der Berg des Hauses des HERRN steht fest gegründet als höchster der Berge; / er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen Völker.
2 Viele Nationen gehen und sagen: Auf, wir ziehen hinauf zum Berg des HERRN / und zum Haus des Gottes Jakobs. Er unterweise uns in seinen Wegen, / auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn von Zion zieht Weisung aus / und das Wort des HERRN von Jerusalem.
3 Er wird Recht schaffen zwischen vielen Völkern / und mächtige Nationen zurechtweisen bis in die Ferne. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden / und ihre Lanzen zu Winzermessern. Sie erheben nicht mehr das Schwert, Nation gegen Nation, / und sie erlernen nicht mehr den Krieg.
4 Und ein jeder sitzt unter seinem Weinstock / und unter seinem Feigenbaum und niemand schreckt ihn auf. Ja, der Mund des HERRN der Heerscharen hat gesprochen.
5 Auch wenn alle Völker ihren Weg gehen, / ein jedes im Namen seines Gottes, so gehen wir schon jetzt / im Namen des HERRN, unseres Gottes, / für immer und ewig.
Friedensvision für alle Völker (Micha 4,1-5)
Liebe Geschwister,
herzlich willkommen in Erfurt! Herzlich willkommen in der Erfurter Augustinerkirche!
Vor 35 Jahren war Erfurt einer der Orte der Friedlichen Revolution.
Hier in der Augustinerkirche war es, dass wir als Protestantinnen und Protestanten erstmals einen Papst empfangen haben: Vor fast 13 Jahren war das. Und es gab eine große Diskussion vorher, ob ich ihn zur Begrüßung „Bruder“ nennen darf. Heute begrüße ich Sie alle ganz selbstverständlich als Geschwister. Schön, dass Sie da sind!
Stellen Sie sich vor, im Deutschen Bundestag würde hinter dem Redepult nicht der Bundesadler prangen. Sondern der berühmte Schmied, der ein Schwert zu einer Pflugschar schmiedet. Ziemlich unwahrscheinlich, zugegeben.
Aber es hätte fast dazu kommen können. Am 04. April 1990 stellte der Zentrale Runde Tisch seinen Verfassungsentwurf für die DDR vor. Und auf dem schwarz-rot-goldenen Deutschlandbanner dieses Verfassungsentwurfes prangte statt Hammer und Sichel der Schmied des Propheten Micha.
Letzte Woche war 75 Jahre Grundgesetz. Schade, dass wir nicht gleichermaßen 35 Jahre Friedliche Revolution gefeiert haben.
„Schade, dass offensichtlich niemand uns Ostdeutsche fragen wollte. Schade bis heute. Denn wir hätten wirklich viel beizutragen gehabt.“
Eigentlich war das Grundgesetz ja als Provisorium bis zur Wiedervereinigung gedacht. So hatten es die vier Mütter und die vielen Väter 1949 festgelegt. Als wir friedlichen Revolutionäre aber 1989/90 daran erinnerten und unsere Erfahrungen der zweiten deutschen Diktatur und ihrer Überwindung fröhlich und endlich frei in eine neue gemeinsame Verfassung einbringen wollten, da war es nicht Zeit für eine solche Diskussion.
Einer, der damals die Deutsche Einheit mitverhandelt hat, Wolfgang Schäuble, hat in seinen erst kürzlich erschienenen Erinnerungen dazu folgendes geschrieben: „Die Menschen in der DDR wollten in ein Land mit der Ordnung des Grundgesetzes – und die Westdeutschen verspürten ohnehin keinen Wunsch nach Veränderung.“ Schade, dass offensichtlich niemand uns Ostdeutsche fragen wollte. Schade bis heute.
Denn wir hätten wirklich viel beizutragen gehabt, und zwar nicht nur den Schmied des Propheten Micha.
Der war 1959 von Chruschtschow der UN geschenkt worden und steht seitdem vor dem UN-Hauptquartier in New York. In der DDR gehörte er ein wenig zur sozialistischen Staatsfolklore, bis sich die Friedensbewegung dieses Symbol zu eigen machte.
Der blaue Schmied auf weißem Grund, mit den Worten „Schwerter zu Pflugscharen“ und rot umrandet: Er war das Erkennungszeichen der Friedensdekaden der evangelischen Kirchen seit 1980.
Schnell liefen überall in der Republik die Leute mit dem Aufnäher auf ihren Jacken herum. Weil sie aber verdächtigt wurden, gemeinsame Sache mit dem Klassenfeind zu machen, fiel das eben noch staatlich hofierte Symbol in Ungnade und die Aufnäher wurden verboten.
Wo vorher der Aufnäher gewesen war, trug man jetzt eben einen leeren weißen Kreis oder bei mir an meiner Jacke blieb gleich ein Loch. Ein dröhnendes Schweigen. Was da zum Schweigen gebracht werden sollte, das dröhnte nur umso lauter. Und der Geist dieser Bewegung, er war aus der Flasche. Und mit ihm auch der Schmied als Symbol. In kurzen Linien:
Der „Berliner Appell“ forderte Ende Januar 1982: „Frieden schaffen ohne Waffen.“
Seit 1982 Friedensgebete in Dresden und Leipzig. „Dona nobis pacem“ aus hunderten Kehlen. Die ersten Friedensgebete gab es schon seit 1978 hier in Erfurt an der Lorenzkirche, weil kurz zuvor der verpflichtende Wehrkundeunterricht in der DDR eingeführt worden war.
Kirchentag, Wittenberg 1983: Ein echter Schmied macht aus einem Schwert eine Pflugschar. Seit 1983 vernetzen sich die Friedengruppen untereinander und merken, dass sie nicht allein sind, dass sie viele sind. Ebenso in den Friedensseminaren, die Jahr für Jahr größer wurden. Und erst recht beim Olof-Palme-Friedensmarsch 1987. Da gibt es neben den Friedenstransparenten auch schon Umweltforderungen.
„Viele, die mit dem Staat in der Friedensfrage über Kreuz lagen, stellten immer mehr auch andere, grundsätzlichere Fragen: nach Freiheit, Demokratie und Menschenwürde.“
Denn viele, die mit dem Staat in der Friedensfrage über Kreuz lagen, stellten immer mehr auch andere, grundsätzlichere Fragen: nach Freiheit, Demokratie und Menschenwürde.
Am 9. Oktober 1989 dann begann die große Demonstration beim Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche. Vorher waren sie zum Beispiel schon in Arnstadt und Plauen unterwegs gewesen. „Keine Gewalt“ war ihre Losung. Wenig später brach das DDR-Regime zusammen.
Harald Bretschneider schrieb vor acht Jahren: „Das Bibelwort brachte die Diktatur ins Wanken.“ Genauso ist es: Das ist die Kraft des Bibelwortes. Es gäbe wohl keine Friedliche Revolution ohne die Friedensbewegung. Und keine Friedensbewegung ohne den Schmied aus Micha 4.
Warum ich all das erzähle: Die Geschichte vom Schmied in der Friedlichen Revolution ist ein wenig auch meine Geschichte.
Ich bin als politische Pazifistin groß geworden und aufgewachsen. Ich bin in der evangelischen Kirche der DDR, mit der kirchlichen Friedensbewegung, mit dem Aufnäher – und später mit der Leerstelle – politisch erwachsen geworden. „…wer das Schwert nimmt, der wird durchs Schwert umkommen“ (Mt 26,52), sagt Jesus. Das trieb uns an.
Als Studentin war ich bei „Frauen für den Frieden“, 1987 beim Olof-Palme-Friedensmarsch und 1989 mit Säugling im Tragetuch auf der Straße: hier wir und uns gegenüber die Wasserwerfer in den Gassen. Bis heute ist das ein Wunder. Kein Wunder, dass dieses Zitat berühmt wurde: „Wir waren auf alles vorbereitet, nur nicht auf Kerzen und Gebete.“
„Es war eine der schwersten politischen Erkenntnisse, als mir klar wurde, dass sich Frieden nicht immer ohne Waffen schaffen lässt.“
Es war eine der schwersten politischen Erkenntnisse, als mir klar wurde, dass sich Frieden nicht immer ohne Waffen schaffen lässt. Beim Bosnien-Krieg 1992 und später in Ruanda 1994 konnte ich nicht fassen, dass die Welt zuschaut. Hilflos. Damals habe ich mit einigen anderen aus dem Bündnis 90 einen Offenen Brief an die Friedensbewegung geschrieben: „Krieg ist wieder zum Mittel der Politik geworden. Menschenrechte werden in einem Maße verletzt, wie es sich die meisten Menschen in Westeuropa nicht mehr vorstellen konnten“, so haben wir damals geschrieben. Wir plädierten für Blauhelm-Soldaten und ergänzten das Prinzip der Gewaltfreiheit durch ein Prinzip der Einmischung.
Das finde ich auch in der Rede vom „gerechten Frieden“ wieder. Diesen Begriff hat die Ökumenische Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung 1988 in Dresden geprägt. Auch so eine Idee aus Ostdeutschland.
Gerechter Friede heißt: Frieden ohne Gerechtigkeit, ohne Menschenrechte ist eben kein vollständiger Frieden. Das In-Frieden-gelassen-werden ist kein Friede. Und solchen Frieden gewinnen wir nicht durch Zuschauen. Er braucht Handeln. Das Prinzip der Einmischung.
Schon beim biblischen „shalom“ ist Frieden ja nicht einfach die Abwesenheit von Gewalt. Nicht einfach das Schweigen der Waffen.
„Achte auf den Lauteren und sieh auf den Redlichen, denn Zukunft hat der Mensch des Friedens.“ So klingt die Losung des Katholikentages in ihrem Zusammenhang. Auch da wird Frieden konkretisiert durch Lauterkeit und Redlichkeit. Andere Übersetzungen sprechen von Treue, Aufrichtigkeit oder Frömmigkeit.
„Der Frieden kommt nicht allein, sondern nur zusammen mit Gottes Weisung, seinem gerechten Richterspruch, der mächtige Unterdrücker in ihre Schranken weist.“
Und genauso bei unserem Micha-Text heute morgen: Der Frieden kommt nicht allein, sondern nur zusammen mit Gottes Weisung, seinem gerechten Richterspruch, der mächtige Unterdrücker in ihre Schranken weist. In heutigen Worten: Durchsetzung des Rechtes, gerechter Ausgleich zwischen den Staaten.
Das vor Augen will ich einmal ganz konkret werden: Ich meine, auch in der Ukraine kann Frieden nicht einfach bedeuten, die Waffen zum Schweigen zu bringen – leider.
Denn das würde bedeuten, Putin und seinen Schergen freien Lauf zu lassen: Um Frauen zu vergewaltigen, um Kinder zu entführen und umzuerziehen, um die ukrainische Identität, Kultur und Sprache auszurotten, um Minderheiten wie die Krymtataren zu unterdrücken und zu verfolgen, kurz: um den Menschen der Ukraine ihre Freiheit und Selbstbestimmung zu rauben.
Und manche sagen dann: Das ist alles nicht so schlimm wie das tägliche Sterben. 2014 haben wir genau das sehen können. Da gab es das Minsker Abkommen, das die Waffen zum Schweigen brachte. Aber Putin und seine Schergen haben einfach weitergemacht, die Menschen auf der Krym und in der Ostukraine weiter unterdrückt.
Deshalb: Wenn jetzt in der Ukraine die Waffen schweigen würden, dann würde sich kein Frieden einstellen. Denn Frieden ohne Menschenrechte, ohne Gerechtigkeit, ohne Freiheit ist kein echter, kein gerechter Friede. Er befriedet nichts. Außer vielleicht unsere Debatten hier.
Im Gleichnis gesprochen: Die Ukraine ist unter die Räuber gefallen. Und für mich als Christin ist es keine Option, vorüberzugehen. Auch hier: Handeln. Einmischen. Ich empfinde es als christliches Gebot, Sorge und Mitverantwortung für den Angegriffenen zu übernehmen. Und das bedeutet: der Ukraine zu helfen. Mit Waffen. Beim Wiederaufbau. Auf ihrem Weg in die Europäische Union.
Eins ist mir persönlich wichtig, hier noch einmal zu sagen: Pazifismus ist eine ehrenwerte, eine wirklich wichtige Haltung, die Menschen individuell einnehmen. Ich selbst habe meine politische Haltung zu internationalen Konflikten in der Bürgerrechtsbewegung der DDR so gegründet. Sie kann aber auf politische Entscheidungen nicht übertragen werden. Dennoch ist mir wichtig, allen ganz ausdrücklich zu danken, die aus einer Haltung des Pazifismus heraus ihre Zweifel formulieren und artikulieren; allen, die uns in der Politik noch einmal zusätzlich dazu herausfordern, unsere Entscheidungen sorgfältig abzuwägen, verantwortlich zu treffen und umsichtig zu begründen.
„Hören Sie nicht auf, Fragen zu stellen. Aber seien Sie immer offen, dass andere auch andere Antworten geben können oder müssen als Sie das tun.“
Der Austausch mit solchen ernsthaften und aufrichtigen Menschen ist mir sehr wichtig und hat mich immer vorangebracht. Hören Sie nicht auf, Fragen zu stellen. Aber seien Sie immer offen, dass andere auch andere Antworten geben können oder müssen als Sie das tun.
Die bittere Erkenntnis ist: Frieden, echter, gerechter Frieden, bei dem die Waffen schweigen und in Verhandlungen auf Augenhöhe tragfähige Lösungen gefunden werden, solcher Frieden bedarf leider manchmal – und eben auch im Fall der Ukraine – Voraussetzungen, die nur mit Waffengewalt herbeizuführen sind.
Und der Schmied des Propheten Micha? Wir brauchen ihn weiterhin, um unser Handeln auszurichten. Denn Micha redet hier von einer heilvollen Zukunft, die Gott selbst herbeiführen wird. Das darf uns natürlich nicht dazu verleiten zu sagen: Na prima, Gott wird’s schon richten. Machen wir bis dahin, was uns gefällt.
Das glatte Gegenteil: Gottes shalom, den er einmal errichten wird, der soll uns Menschen anziehen und locken. Er will, dass wir uns davon inspirieren lassen und seinem Heil entgegen pilgern.
„Wir wandeln im Namen des Herrn, unseres Gottes, immer und ewiglich!“ heißt es deshalb auch ganz zum Schluss bei Micha. Oder im Lukasevangelium: „…und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.“ (Lk 1,79). Gottes Verheißung richtet uns aus. Zeigt uns, wonach zu strecken sich lohnt. Zeigt, dass es sich lohnt, diese unendlich schwierige Diskussion zu führen.