Predigt zum Schöpfungsgottesdienst in Saalfeld
Am 4. August konnte ich am Saaleufer in Saalfeld meine Predigt zum Schöpfungsgottesdienst über die Geschichte der reichen Kornbauern und großzügigen Knaben halten.
Liebe Gemeinde,
„Besser haben als brauchen!“ Dieser Satz wird immer mal wieder gern auch in der Politik gebraucht, und heißt dann meist: „Besser wohlverstanden vorsorgen. Besser vorsichtig mit dem Verschleiß der Ressourcen. Besser noch etwas mehr auf Vorrat, als am Ende peinlich blank dazustehen.“
Und – ja, ich gebe es zu: Wenn ich Gäste habe, habe auch ich lieber noch einen extra Kasten Bier und noch einen Kuchen im Gefrierschrank, falls doch alles schneller auf ist als gedacht. Muss ich von der Oma haben. Von ihr kann ich auch Marmeladen und Obst einkochen, sogar Ketchup selber machen und Gemüsebrühe von den allgemeinen Resten.
Vielleicht ist das sogar ein bisschen protestantisch? Fleißig sein, gute Haushalterschaft, mit den Talenten wuchern. Katharina Luther hatte mit Sicherheit immer noch einen Krug Bier und eine gute Wurst mehr in der Kammer, falls doch noch mal ein unerwarteter Gast kam oder zwei oder drei …
„Zwei biblische Geschichten will ich mit Ihnen heute bedenken, die die Frage von Haben und Brauchen beleuchten.“
Zwei biblische Geschichten will ich mit Ihnen heute bedenken, die die Frage von Haben und Brauchen beleuchten. Es geht um reiche Kornbauern und um spendable Knaben.
Zuerst der reiche Kornbauer. Im Lukasevangelium erzählt Jesus ein Gleichnis über ihn. Der Bauer lässt zufrieden den Blick über seine Felder schweifen. Er hat alles richtig gemacht. Er hat auch Glück gehabt mit dem Wetter. Nicht überliefert ist, ob er gedüngt hat und wie es mit den Ackerrandstreifen aussieht. Jedenfalls steht ihm eine reiche Ernte bevor. Aber der Bauer ist gestresst. Er muss nun nicht nur die Ernte einbringen, sondern auch noch große Lagerhallen bauen. Mit so viel hatte selbst er nicht gerechnet. Und alles noch vor dem Winter.
Und dann, ja dann will er sich zufrieden zurücklehnen: »Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!«
Eher Team „Haben“, Bevorratung. In der DDR machte man das so, weil man die Dinge nicht kaufen konnte, wenn man sie brauchte (oder wollte), sondern wenn es sie gerade gab und dann… Einwecken, Einfrieren, Eindicken… Ich kann ihn also gut verstehen und seine Überlegungen vernünftig finden. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen – auch irgendwie protestantisch.
„Ich kann ihn also gut verstehen und seine Überlegungen vernünftig finden. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen – auch irgendwie protestantisch.“
Jesus dagegen scheint nicht so ganz im Team „Haben“ zu sein. „Du Narr!“, lässt er Gott im Gleichnis sofort entgegnen. „Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?“
Den Schrecken möchte man sich gar nicht unbedingt vorstellen. Alles schien gut, Glück gehabt, reich geworden nach der vielen harten Arbeit und dann soll alles so plötzlich zu Ende sein? Da entstehen Fragen: War die größte Lagerhalle wirklich die Erfüllung meiner Sehnsucht? Was genau wollte ich eigentlich machen mit der Ruhe?
Es gibt ja diesen klugen Satz, der heißt: wenn man in Rente geht, braucht man kein Hobby, sondern eine Aufgabe. Hatte der Kornbauer eine Aufgabe, etwas Erfüllendes, jemanden, der die Seele erfreut? Was ist ein Leben in Fülle? Wonach sehnt sich meine Seele? Ist da jemand zum Lachen und Tanzen und Lieben? Ist da jemand in Krankheit und Trauer? Gibt es vielleicht jemanden, mit dem ich meinen Überschuss teilen könnte?
Die zweite biblische Geschichte steht in allen Evangelien. Aber nur im Johannesevangelium erzählt sie auch von einem kleinen Knaben, der einen großen Unterschied macht.
„Wo kaufen wir Brot, damit diese [vielen Menschen] zu essen haben?“, fragt Jesus seinen Jünger Philippus. Während der noch rechnet – „wir haben nicht so viel wie wir brauchen“ – tritt der Knabe auf: fünf Gerstenbrote und zwei Fische bietet er an. Den Einwand des Andreas „Aber was ist das für so viele?“ überhört Jesus geflissentlich und das Wunder geschieht. Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten: fünftausend wurden satt. Jesus und der Knabe sind sich einig: Wenn jeder gibt, was er hat, dann werden alle satt. Und sie lassen die Jünger vom Team „Haben“ ein wenig dumm aussehen.
Beide Geschichten scheinen in dieselbe Richtung zu weisen. Und zwar gerade nicht „Besser haben als brauchen.“ Weniger Kornbauer, mehr Knabe.Aber ehe hier falsche Gegensätze aufgemacht werden: Jesus und der Knabe gehören zwar nicht zum Team „Haben“, aber ebenso wenig zum Team „Brauchen“. Sie sind nämlich nicht mittellos. Sie haben durchaus etwas.
Der Unterschied ist ein anderer. Nämlich der, wie sie damit umgehen. Wo der Kornbauer hat, um zu behalten – da hat der Knabe, um zu teilen. Und damit sind wir bei des Pudels Kern. Wir sind bei Besitz oder Beseelt-Sein. Es geht um Haben oder Sein, wie das berühmte Buch von Erich Fromm heißt. Wer nur Haben will, kann nicht Lieben, so seine These, und sie hat mich schon damals im Studium sehr berührt und ist auch 40 Jahre später noch richtig.
„Wer nur Haben will, kann nicht Lieben, so seine These, und sie hat mich schon damals im Studium sehr berührt und ist auch 40 Jahre später noch richtig.“
Denn es geht nicht ums „Nicht-Haben“, niemand muss „Diogenes in der Tonne“ sein. Es gibt eine völlig legitime Freude am Haben. Es gibt diese Dinge, die erworben werden, und man freut sich noch Jahre später darüber. Oder das Haus, das Heimat ist, und eben mehr als eine Immobilie.
Aber genau da sind wir eben beim Unterschied. Was gibt Heimat und wo leuchtet die Seele? Alleinsein ist immer blöd, egal ob mit viel oder mit wenig Haben. Jesus, der alte Schelm, macht das schon ganz klug. Wir müssen unsere Seele nicht warten lassen, bis die Scheune gefüllt ist bis zum höchsten Rand. Es ist längst mehr als genug und es gibt Grund genug – jetzt zu danken, zu feiern und auch zu genießen.
Ich glaube, es könnte sein wie mit der EM. Da haben wir uns doch auch gefreut über unsere Mannschaft, und die Ansprache des Bundestrainers war doch legendär: „Wir haben so viel Schönes“! Und die Kids laufen überall mit den Trikots rum, auf denen die Namen der Spieler stehen.
Und haben wir gewonnen? Sind wir Europameister? Nein. Die Scheune war nur zu einem 8tel voll. Und wir feiern die Mannschaft dennoch, ihre Spielweise, ihren Kampf, ihren Einsatz. Wir sind stolz und dankbar für eine leicht gefüllte Scheune.
Das ist neu, bisher konnten wir zwar mit dem 2.ten besser sehen, aber mit einem zweiten Platz nicht leben. Natürlich: alle Millionen Trainerpersönlichkeiten haben noch mal die Sache mit dem Handspiel diskutiert, aber dann: coole Mannschaft, gute Leute, große Freude. Eben Fünf Brote, zwei Fische, 5000 Menschen. Was macht das schon. Es reicht, irgendwie. Der Reichtum ist, sich gemeinsam zu freuen. Sich zu wundern und zu begeistern.
Wann genau ist uns das verloren gegangen? Wann haben zu viele von uns angefangen vor allem an die eigenen Wünsche zu denken, an die noch größere Lagerhalle? Wann haben wir aufgehört, uns am Anderen zu freuen, am ganz anderen womöglich? Wann wurden wir so wenig neugierig, dass uns alles, was außerhalb unserer Blase geschah, beFREMDete?
„Wann wurden wir so wenig neugierig, dass uns alles, was außerhalb unserer Blase geschah, beFREMDete?“
Ihr Lieben, ich will einmal von Herzen Danke sagen für diese Einladung. Denn sie hat meine (!) Neugier geweckt. Auf den Skulpturenpark, auf seine Geschichte und das Heute.
Vor 30 Jahren schufen zwölf Künstlerinnen und Künstler hier diesen einzigartigen Kulturraum. Die Kunstwerke blieben ihr Eigentum, verblieben aber als Leihgaben. Teilen statt Besitzen könnte man sagen. Und vermutlich freuen sich die Kunstschaffenden noch immer, dass Menschen Freude daran haben.
Sie waren Schenkende, aber auch Beschenkte. Denn sie schufen ihre Werke aus dem, was sie vorfanden: Die Steine. Die Naturlandschaft am Saaleufer. Den Fluss, die Auen, die Vögel, die Sonne, die Brise: Gottes ganze gute Schöpfung. 2 Fische, 5 Brote, mehr hatten sie nicht gefunden – und dennoch ernähren sie Menschen bis heute – mit Kunst.
»… füllet die Erde und machet sie euch untertan.«, heißt es im ersten Buch der Bibel. Oft genug ist das allerdings tragisch falsch verstanden worden. Da wurde die Erde versklavt und ausgebeutet. Da wurde sie immer weiter erhitzt, die Schöpfung mehr und mehr dezimiert, Arten ausgerottet.
Das muss ich Ihnen hier an der Saale vermutlich nicht erzählen. Der Fluss galt einmal als einer der am stärksten verschmutzten Flüsse Deutschlands. Das war damals auch einer der Gründe, weshalb ich mich politisch engagiert habe: Wie die Flüsse, wie die Wälder, wie die Natur an so vielen Stellen in der DDR aussahen, hatte nichts mehr von Gottes guter Schöpfung.
Sie ist der größte Schatz, den wir HABEN, um in dem Bild zu bleiben. Unsere Schöpfung. Wir können sie nicht mehr bewahren wie sie einmal war. Dafür haben wir zu sehr über die Verhältnisse gelebt. Und von der Natur ist auch keine Klage zu erwarten. Denn es wird sie weiterhin geben. Anders wohl, vielleicht sogar ohne uns. Wir Menschen bringen uns Tag für Tag in Gefahr.
Zu heiß, zu laut, zu nass, zu trocken. Es wird uns weiter anstrengen, die Folgen zu begrenzen. Ich stöhne manchmal auch ob der Größe der Aufgabe. Statt Schöpfungsbewahrung Veränderungserschöpfung. Aber: Hey, wir haben schon mehr geschafft als wir manchmal selbst glauben wollen. Der meiste Strom kommt schon aus Sonne und Wind. Und inzwischen profitieren die Ortschaften in Thüringen selbst davon, wenn sie Windräder auf ihrem Grund aufstellen lassen. Das ist nur ein Beispiel, aber ich wüsste noch mehr.
„Es geht mir um das Größte, das wir haben, errungen, erkämpft, bejubelt: die Freiheit.“
Und Sie bestimmt auch: Das sind Ihre, unsere 5 Brote und zwei Fische, gewissermaßen. Wer hätte gedacht, dass es gelingen könnte? Aber ich will Ihnen einen Gedanken nicht ersparen, der mich umtreibt und zutiefst besorgt. Es geht mir um das Größte, das wir haben, errungen, erkämpft, bejubelt: die Freiheit.
Wir haben sie gegen die Diktatur erobert, erst ganz wenige, dann viele, mit Kerzen und mit Gebeten. Wir haben uns an sie gewöhnt und dann wurde aus der Freiheit für alle und eben andere, das vereinzelnde: ICH will.
Manche sagen: Ich will doch nur Frieden für die Ukraine. Mein Eindruck ist: Es geht nicht zuerst um den Frieden in der Ukraine, sondern manche wollen in Frieden gelassen werden. Aber Frieden und Freiheit für die Menschen im Donbass oder Odessa ist eben nicht Ruhe für uns. Es gibt Momente, wo wir entscheiden müssen, wie wir das in Einklang miteinander bringen müssen.
Gerechtigkeit und Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Deswegen glaube ich, ist die Frage, ob wir in Ruhe gelassen werden wollen, also unseren Frieden haben wollen, und die Frage, wie Frieden geschafft werden kann, manchmal sehr unterschiedlich zu beantworten.
Und wenn ich mit Ukrainerinnen und Ukrainern darüber spreche, dann sage ich, dann sagen die natürlich alle: Ja, wir wollen Frieden. Und natürlich ist diese Frage, wie der Frieden geschaffen werden kann, zehnmal wichtiger als jede Frage, welche Waffengattung gerade die wichtigste ist. Aber das zusammenzubringen: Frieden und Gerechtigkeit. Das ist eine der schwersten Fragen gerade auf der Welt.
„Aber das zusammenzubringen: Frieden und Gerechtigkeit. Das ist eine der schwersten Fragen gerade auf der Welt.“
Oder: Manche beklagen, dass sie sich eingeschränkt fühlen, dieses oder jenes nicht mehr sagen können. Ich kann natürlich nicht behaupten, dass sei Quatsch, wenn man das so empfindet. Aber: Könnte es auch sein, dass diejenigen einfach nur keine Lust darauf haben, zu hören zu bekommen, dass Andere es anders sehen, dass sie keine Lust auf Widerspruch haben? Und – das sage ich auch an die eigene Adresse: Könnte es etwa sein, dass der Andere auch recht hat?
Oder die Freiheit, Auto zu fahren, solle eingeschränkt werden. Da muss ich Ihnen von meinem Nachbarn erzählen. Der fährt wirklich ein absurd großes Auto, dafür ist das Wort SUV noch zu klein. ABER: sein CO2 Verbrauch ist um Tonnen geringer als meiner: Denn er kauft nicht im Bioladen, sondern geht in den Garten. Er fliegt nirgendwohin, weil er auf dem Dorf bleibt. Er heizt mit einer alten Heizung. Und in seinem Kleiderschrank sind vor allem Arbeitsklamotten. Es gab noch kein Gerät, dass er nicht reparieren konnte.
Damit ist er quasi der Ökologischste von uns allen und seine Freiheit schränkt die Menschheit der Zukunft wirklich wenig ein.
Aber wir alle, die Gesellschaft, politisch Handelnde: Unsere Aufgabe wird es sein, dafür zu sorgen, dass wir morgen und übermorgen noch etwas zu entscheiden haben. Und das ist der Grund, sorgsam mit dem umzugehen, was wir haben. Das ist der Grund, alles daran zu setzen, dass wir nicht schwach werden und glauben, es könne schon jemand für uns regeln, es könnte ganz wieder so werden, wie es nie war.
Dass das mit der Freiheit schon gut gehen wird, dass es schon keine Diktatur der Mehrheit und der Besserwisser geben wird. Dazu braucht es Menschen, die die Freiheit verteidigen. Für Solidarität, Menschlichkeit, Toleranz, Zusammenhalt, Hilfsbereitschaft und eine plurale Gesellschaft. Wie vorige Woche auf dem Saalfelder Marktplatz.
„Wir dürfen die Demokratie feiern, die wir haben. Und wir müssen sie bewahren und verteidigen.“
Wir dürfen die Demokratie feiern, die wir haben. Und wir müssen sie bewahren und verteidigen. Unsere Besitztümer werden in keiner Lagerhalle sicher sein.
Die Chance, die wir haben, ist zu schauen, ob jemand anderes auch noch eine Idee hat, ob wir es vielleicht mit den drei Fischen des Knaben und unseren eigenen besser zusammen hinbekommen.
Ob fünf Brote in unserem Beutel nicht genug Phantasie wecken, zu schauen, was noch im Keller ist oder im Gefrierschrank und was wir zusammen draus machen können. Ob die freie Rede uns nicht animieren könnte, ein offenes Ohr zu haben statt einer Fertigsuppe von Meinung. Ob wir unser wunderbares Land nicht in Schutz nehmen können vor den Selbstsüchtigen und den Beschwörern, für die Freiheit und den Gemeinsinn.
Ich denke, wir könnten wiederentdecken, was der große Philosoph Harry Potter einmal so beschrieben hat:
„Es gibt Dinge, die man nicht gemeinsam erleben kann, ohne Freundschaft zu schließen.“ Freundschaft, Freundlichkeit zur Heimat, zur Natur und untereinander. Das ist nicht naiv oder romantisch. Das ist eigentlich ganz einfach: mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und ganzer Vernunft aus 5 Broten und zwei Fischen eine gute Sache machen. Und wenn wir damit viral gehen – umso besser.
Amen.