Starke Schultern können mehr tragen
Gastbeitrag von Emilia Fester und Katrin Göring-Eckardt, Erstveröffentlichung auf FAZ.NET am 22.08.2022
Zwischen uns beiden liegen 32 Lebensjahre, mehr als eine Generation. Eine von uns ist 1966 in Friedrichroda in der damaligen DDR geboren, die andere 1998 in Hildesheim in einem vereinten Deutschland.
Die eine hat die friedliche Revolution erlebt, auf der Straße, an Runden Tischen. Es schien möglich, alles zu ändern, ein System wurde gestürzt. Es folgte eine Zeit, die vom Gedanken der Zuversicht geprägt war, allerdings auch von einer gewissen Bequemlichkeit und dem gesellschaftlich mehrheitlichem Glauben an ein unendliches Wachstum. Die Dringlichkeit einer neuen Revolution, gegen die Klima- und die Artenkrise, war evident und wurde es von Jahr zu Jahr mehr.
Die andere ist politisiert in der Befürchtung, dass die Klimakrise nicht mehr zu stoppen ist, nur noch abzumildern. Sie ist auf die Straße und in den Bundestag gegangen, um zu tun was geht, andere zu begeistern, zu drängen, Mehrheiten zu gewinnen für den notwendigen Umbruch. Denn seit Jahrzehnten, heute und in den nächsten Jahren treffen wir irreversible Entscheidungen für die kommenden Generationen.
Heute, im Spätsommer 2022, blicken wir gemeinsam auf unser Land, das von Krisen geschüttelt ist. Mit einer Pandemie, die zum steten Begleiter wird und dem brutalen russischen Krieg gegen die Ukraine. Mit explodierenden Gaspreisen, steigender Inflation und einer Klimakrise, die mit Waldbränden, Artensterben und Überflutungen immer drastischer unseren Alltag bestimmt. Alle Krisen finden ihren Ausdruck und verschärfen die soziale Unwucht, international wie national. Arme Menschen werden immer ärmer, unsichtbarer und perspektivloser. Wir erleben emanzipatorische Rollbacks
Es ist ein zutiefst menschlicher Antrieb, den eigenen Kindern und Enkeln eine bessere Welt hinterlassen zu wollen. Die Wahrheit ist, dass die Alten diesen existenziellen Generationenvertrag schlicht nicht einhalten können. Dennoch stehen wir alldem auch nicht hilflos gegenüber.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum Klimagesetz im vergangenen Jahr den Weg gewiesen. Wenn es da sagt, dass konsequenter Klimaschutz im Sinne des Pariser Klimaabkommens die Freiheit der kommenden Generationen schützt, dann lautet die klare Botschaft: Wir Menschen tragen intergenerationell Verantwortung füreinander.
Und diesen Gedanken sollten wir nicht auf die Klimakrise beschränken. Er gilt selbstverständlich auch für den Umgang mit anderen Krisen und Herausforderungen. Um den multiplen, sich gegenseitig überlagernden und verstärkenden Krisen wirksam zu begegnen, hilft es nicht, die Generationen gegeneinander auszuspielen.
Statt notwendige Zukunftsinvestitionen auszubremsen, ist jetzt der Zeitpunkt, massiv in die ökologische und soziale Transformation zu investieren. Gesellschaftlicher Wohlstand ist mehr als ein hohes Vermögen. Dazu gehören Gesundheit, eine intakte Umwelt, Internationalismus, sozialer Frieden und Chancen und Perspektiven für jede*n Einzelne*n. Dafür müssen alle Möglichkeiten auf den Tisch, der Staat allein kann es nicht schaffen.
Das geht nur, wenn wir einen Perspektivwechsel wagen und auch auf die Einnahmensseite schauen. In den vergangenen Monaten sind viele Ideen zur Bewältigung der Finanzierungskrise diskutiert worden: Neben der Abkehr von der Schuldenbremse, für die es ohnehin kaum noch Argumente gibt, hilft auch eine Übergewinnsteuer. Sie wurde in anderen Ländern bereits eingeführt und ist keine „Strafsteuer“, wie manche uns glauben machen wollen. Im Gegenteil: So wie wir als Gesellschaft krisenbedingte Defizite ausgleichen, können und sollten wir es auch mit den krisenbedingten Bonuserträgen halten.
Aber eine Übergewinnsteuer wird nicht reichen. Starke Schultern können mehr tragen. Jetzt ist die Zeit, über eine Vermögensabgabe zu sprechen! Sie ist für die mit sehr großen Vermögen in dieser Ausnahmesituation nicht nur zumutbar, sie ist auch im Rahmen unserer Verfassung möglich. Wenn wir weiter davon ausgehen, dass alle beitragen, was sie können, dann muss auch weiterhin der Zusammenhalt und mithin auch die Staatsfinanzen im Interesse aller und durch die Beiträge aller gesichert werden.
Die Vermögensabgabe würde vornehmlich Schulden sowie zweckgebundene Mehrausgaben decken können. Dennoch würde sie, sogar bei allen notwendigen Freibeträgen wie für Familienbetriebe, Milliardensummen hervorbringen. Eine einmalig erhobene Vermögensabgabe ermöglicht Spielräume für dringend benötigte Projekte und Investitionen, sowie Entlastungsmaßnahmen für Geringverdiener*innen, Menschen im Sozialleistungsbezug, Studierende und Rentner*innen zu schnüren. Gleichzeitig benötigen wir dringend die Mittel für die großen Transformationsaufgaben in der Nach- und Vorsorge der Pandemie oder bei der Bewältigung der Klimakrise.
Jetzt ist die Zeit, dass sich alle Generationen unterhaken. Denn nur gemeinsam haben wir die Chance, unserer historischen Verantwortung an diesem möglichen Kipppunkt gerecht zu werden. Wir haben eine Welt zu gewinnen.